Mittwoch, 30. Mai 2018

My life on wheels III: Große Freiheit Nr. 1




My first Mofa. Ein gewichtiges Thema. Mit fünfzehn, mitten in der Pubertät, konnte ein Mofa ein wichtiger Meilenstein in der persönlichen Entwicklung sein. Zum einen bot das Mofa die Möglichkeit praktisch jeden Ort dieser Welt motorisiert zu erreichen. Zumindest aber konnte man eine gewisse Distanz zwischen sich und das Elternhaus bringen. Viel wichtiger aber war der Schritt weg vom radelnden Kind hin zum motorisierten Erwachsenen. Die soziale Aufwertung die einem das Mofa innerhalb der Gruppe der Gleichaltrigen einbrachte war vielleicht das Allerwichtigste. Das blöde an dieser sozialen Aufwertung war allerdings, dass sie weitestgehend nur innerhalb der eigenen (männlichen) Geschlechtergruppe funktionierte. Mädchen sind einfach zu klug, um sich von einem Mofa, und sei es noch so cool, über die Unzulänglichkeiten des Mofabesitzers hinwegblenden zu lassen. Nur: Wir wussten das damals nicht. Woher auch? Der Kontakt zum anderen Geschlecht beschränkte sich bei mir auf die Schule und da blieben die Geschlechter weitestgehend unter sich. Mit einigen Mädchen in meiner Klasse habe ich in sechs Jahren Realschulzeit nicht ein einziges Wort gewechselt. Andererseits vermittelte die mediale Umwelt dass der motorisierte Mann eindeutig einen Vorteil bei der Partnerwahl genießt. Vor allem die Marketingabteilungen der Zweiradhersteller verbreiteten diese These recht intensiv. Folgende Formel klang jedenfalls sehr einleuchtend:

Du + Mofa = halber Weg zur festen Freundin

Weitaus komplizierter verhielt es sich allerdings innerhalb der männlichen Pier-Group. Hier wurde differenzierter betrachtet und gewertet. Der reine Besitz eines Mofas war zwar ein Wert an sich, Hersteller und Modell waren aber von ausschlaggebender Wichtigkeit zur Einordnung im sozialen Gefüge. Da konnte es dann schnell passieren, dass das falsche Mofa zu sozialer Ächtung führte.
Hier einige Wertungsbeispiele:

Du + Kreidler Flory 3Gang (mit Sitzbank) = cooler Typ
Du + Kreidler Flory 2Gang (mit Sattel) = ganz OK, immerhin Keidler

Du + Zündapp Z-Modelle = etwa gleichwertig mit Kreidler aber nicht so sportlich

Du + Hercules M5 (2Gang) = solider Typ, kann man nix sagen
Du + Hercules M2 (Automatic) = am Rande des sozialen Abstiegs, aber immerhin Hercules

Du + Vespa Ciao = wird kritisch beäugt, sind ja schnell die Dinger, eigentlich Mädchen Mofa
Du + Peugeot 103 = siehe Vespa Ciao

Du + Velo Solex = Öko Spinner, ist dein Vater Lehrer?

Du + Mars = verpiss Dich mit Deiner Kaufhaus-Schleuder!
Dieses Urteil galt grundsätzlich für alle "Billig-Marken" wie Solo, Mars, Jawa, Batavus etc.

Eine Sondergruppe bildeten Luxus Mofas wie Hercules G3, Zündapp ZD 25 und Kreidler Flott. Die sahen schon nach Mokick aus und waren sehr teuer. Besitzern dieser Gefährte begegnete man mit einer Mischung aus Respekt und leichtem Spott, bedingt durch Sozialneid.

In dieses Klima trat ich nun im Jahre 1980. Ich gehöre übrigens zum ersten Jahrgang der eine Mofa-Prüfbescheinigung machen musste. Zum Erhalt dieser Bescheinigung musste man eine theoretische Prüfung bestehen. Was auch ohne allzu großen Lernaufwand gelang.

Nächster Schritt: Mofa kaufen. Problem: kein Geld. Mein Bruder, der Gute, besorgte mir zunächst leihweise ein Jawa Mofa von seinem Schwiegervater. Die Jawa war unterste Kategorie, siehe oben, aber sie fuhr, zumindest teilweise. Das Mofa war von einem Vergaser- oder Zündungsproblem geplagt und versagte ab und zu den Dienst. Meine anfängliche Begeisterung schwand schnell. Nein. Da musste was Gescheites her. Irgendwie hatte ich 250 Mark zusammengekratzt und stellte die Ohren auf, ob es für diesen Preis etwas zu kaufen gäbe.

Jawa: Eingeschränkt diensttauglich

Nun passierte mir etwas, das mir auch danach noch das ein oder andere Mal wiederfahren sollte: Das Habenwollen siegte über jedwede Vernunft. Ein Klassenkamerad - nein "Kamerad" ist hier der falsche Begriff, sagen wir: ein Mitschüler besaß eine... tja, es ist schwer zu sagen was es war. Laut Papieren war es eine Hercules HR2, optisch war es das, was man heute ein Custom Bike nennen würde. Leider, leider gibt es kein Foto von dem Gefährt wie es aussah als ich es kaufte, daher muss ich das Desaster in Worte fassen. Zunächst, möge der geneigte Leser einen intensiven Blick auf das Foto werfen, welches am Anfang des Posts steht. Dort ist zu sehen was wir, vornehmlich mein Bruder und ich, daraus gemacht haben.

Die Hercules war hellblau-metallic, hatte eine Flory Sitzbank, hinten ein extrem gekürztes Schutzblech, vorne ein kleineres Schutzblech. Wirklich angetan hatten es mir die siebenspeichigen Gußfelgen und - ganz wichtig - das Kreidler-Zündschloss im Seitendeckel! Auf den ersten Blick, mit Sonnenbrille und zusammengekniffenen Augen sah das Ding echt fancy aus. In wilder Liebe entbrannt, zahlte ich meinem Mitschüler die 250 Mark. Später hat er sich in meinem Beisein darüber lustig gemacht wie toll er mich verarscht hat. Die Mutter aller Arschlöcher ist eben immer schwanger.

Aber, Ehre wem Ehre gebührt, ich war auch premium blöd. Soviel dazu.

Der reale Marktwert von dem Mofa dürfte bei 100 Mark gelegen haben, unter Freunden 50. Ich stellte sehr schnell nach dem Kauf fest, dass ich einen Haufen Müll erstanden hatte. Zwar bewegte sich das Teil und bremste aber das war auch alles. Als schlimmster Mangel stellte sich später heraus, dass der Rahmen zwischen Sattelstütze und Stoßdämpferaufnahme angebrochen war.

Außerdem war das Fahrzeug ein Hybrid aus mehreren verschiedenen Mofas. Von der in den Papieren genannten Hercules HR2 "Hobby Rider" war nur noch der Rahmen und der Motor übrig.
Räder, Stoßdämpfer und vorderes Schutzblech stammten von einer Hercules G3, ebenso die Schwinge, daher der zu lange Radstand. Die Gabel stammte wahrscheinlich von Peugeot, die Sitzbank von einer Flory, der Tank von einer Hercules M5, der Bullhorn-Lenker war Zubehör. Der Vorbesitzer hatte diese Teile garantiert nicht im Fachhandel erworben. Sie wissen was ich meine.

Hercules Hobby Rider, die Basis und Hercules G3 der Teilespender


Was tun? Mein Bruder half mir mal wieder aus der Patsche. Zunächst wurde das Mofa zerlegt. Die Bestandsaufnahme war niederschmetternd. Rahmen gebrochen, Sitzbank und Vorderblech mehr oder weniger nur am Mofa festgebunden, die Gabel war krumm, der Gepäckträger fehlte, hinteres Schutzblech unbrauchbar, Reifen: Müll.

Ein Bekannter meines Vaters besaß ein Schweißgerät (eine absolute Sensation, damals), und schweißte die Bruchstelle am Rahmen. Dann ging es an die Teilebeschaffung. Eine passende Gabel und ein Sattel wurden beim örtlichen Zweiradhändler gebraucht gekauft, ebenso neue Reifen (Schwalbe Power Tread mit weißer Schrift: geil!) Schutzbleche und Gepäckträger montierte ich von einer Mofa-Leiche im nahe gelegenen Wald ab. Ist es eigentlich doppelt strafbar wenn man von einem schon gestohlenen Mofa Teile stiehlt?

Nun ging es an den Zusammenbau. Naturlich hatten alle Teile unterschiedliche Farben also musste auch lackiert werden. Der Traum eines jeden Adoleszenten Ende der Siebziger war die Hercules Ultra 50, absolut geil und vollkommen unerschwinglich (3700 DM Kaufpeis + 1200 DM Versicherung p.A.).
Und ich hatte ja die coolen Gußfelgen also sollte meine Hercules ein Ultra look-alike werden.

Geil, geil, geil und teuer, teuer, teuer

Es wurde also eine kleine Dose Herbol Feuerrot gekauft und dann habe ich alles wunderschön rot angestrichen!  Wie durch ein Wunder ließ sich alles wieder zusammenfügen. Das Wunder trägt den Namen meines Bruders, ich meine mich zu erinnern, dass er ganz schön geflucht hat. Und das Ding fuhr! Ganz gut sogar. Zunächst ca. 30 km/h. Später besorgte ich mir einen KTM Krümmer der etwas dicker war als der sog. Spaghetti-Krümmer, damit ließen sich dann 35 km/h erreichen. Den großen P3-Krümmer vom (sonst baugleichen) Moped traute ich mich nicht zu montieren. Damit wäre man bei der Rennleitung unangenehm aufgefallen. Vom Tuning ließ ich sowieso die Finger, eu ahnungslos, zu teuer, sowohl in der Anschaffung als auch juristisch. Die Polizisten jener Zeit waren gut geschult darin Tuningmaßnahmen zu erkennen. Andere hat das nicht abgeschreckt. Ich erinnere mich an einen Schüler aus den höheren Klassen der mit seiner Hercules M5 im Windschatten des Linienbusses an die 70 km/h schaffte.

Wenn man weiß wer das Vorbild ist...


Mit der Hercules bin ich durchaus auch weitere Strecken gefahren z.B. zu meiner Tante ins Bergische, immerhin fast 60 km. Dennoch war sie eher das Spielzeug eines großen Kindes (hat sich ja bis heute nicht geändert bei mir). Wirklich gebraucht habe ich sie nie. Zur Schule oder später zu meiner Ausbildungsstelle bin ich immer mit den Öffentlichen gefahren. Dennoch hat sie mir das Gefühl von Freiheit und Ungebundenheit gegeben. Außerdem habe ich dazugehört, zu den Mofa-Jungs. Rangmäßig unteres Mittelfeld, aber immerhin. Der Motor hat mich nie im Stich gelassen, was bei der Geschichte des Fahrzeugs als das eigentliche Wunder gelten muss. Er hat zwar immer wie Sau mit den Kolbenringen geklappert, aber nie den Dienst versagt. Ich erinnere mich, dass sich die Schrauben des hinteren Ritzels mal gelöst haben, weil der Vorbesitzer der Einfachheit halber auf Sicherungsbleche verzichtet hatte. Das führte dann zu einer Vollbremsung bei voller Fahrt, da sich eine abgefallene Mutter in der Bremse verkeilt hatte. Mit der Zeit gab auch die Schwingenlagerung auf, was dazu führte das des öfteren die Kette absprang.

Aber da hatte ich schon mit Verspätung  den Führerschein 1B gemacht und stieg dann (nur kurz) auf die von meinem Bruder übernommene DKW Hummel um. (Was definitiv zwei andere Geschichten sind).

Die Hercules wanderte in den Schuppen und setzte Staub an. Irgendwann versuchte ich die Schwingenproblematik mit einer originalen, kürzeren Schwinge zu lösen, aber dann passten die G3 Stoßdämpfer nicht mehr. Schließlich verkaufte ich das Mofa für 70 Mark an einem Bastler aus dem Nachbarkaff. Ich wage zu bezweifeln ob er sie je wieder ans Fahren brachte.




Während ich dies schreibe und Korrektur lese kommt mir der Gedanke, dass es doch nett wäre einmal ein Replika diese Ultra-Mofas zu bauen. Diesmal aber mit vernüftiger Basis. Ein Hercules P3 Moped mit G3 Felgen. Einen Bullhorn Lenker habe ich noch im Keller. Mal sehen was ebay Kleinanzeigen so hergibt...






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