Donnerstag, 12. April 2018

My life on wheels I: Der große Bruder


1965 wurde ich als drittes Kind mit zehn, bzw. dreizehn Jahren Abstand zu meinen älteren Brüdern geboren. Seit früherster Kindheit, praktisch seit ich „Mama, Papa, Auto.“ sagen konnte, bin ich von allem fasziniert was Räder hat. Nicht ganz unschuldig daran ist mein "mittlerer" Bruder Martin, musste er sich doch häufig um mich kümmern. Mein Vater arbeitete Schicht bei Bayer, war also wenig präsent, meine Mutter hatte alle Hände voll zu tun den Haushalt zu führen. So entwickelte sich Martin zu einer sehr wichtigen Bezugsperson für mich. Es ist also kein Wunder,  dass er mich als Kleinkind schon mit den damals für ihn wichtigen Themen infizierte. Wofür interessierte sich mein Bruder damals? Oldtimer, hauptsächlich Vorkriegsfahrzeuge. Auto-Modellbausätze. Seine Carrera-Bahn. Mit fünfzehn dann Mofas, später Mopeds. Mit Sicherheit hatte mein Bruder noch andere Interessen, die vorgenannten aber blieben mit großer Hartnäckigkeit an mir kleben. 

Um 1970.

Für eines interessierte sich mein Bruder nicht: Fußball. Ganz im Gegensatz zu meinem Vater, der glühender Fußballfreund war. Auch dieses Desinteresse habe ich mit meinem Bruder gemeinsam. Wobei ich aber glaube dass meine Abneigung gegen Fußball einen anderen Grund hat. Samstags frühabends liefen im ZDF immer interressante Fernseh-Serien: Daktari (ab 1969), SOS-Charterboot (1972), Raumschiff Enterprise (1972). Aber mein Vater wollte natürlich die Bundesliga (nachdem er sie den ganzen Samstag Nachmittag im Radio verfolgt hatte) in der ARD-Sportschau sehen. Meine Erinnerung sagt mir, dass dieser Interessenkonflikt stets zu Gunsten meines Vaters entschieden wurde. Was nicht der Fall gewesen sein kann, weil ich mich ebenso erinnere, dass ich diese Serien tatsächlich gesehen habe. Wie auch immer: Fussball ist nicht mein Ding. 
Wenn meine Frau und mein Sohn heutzutage bei den großen Turnieren (EM / WM) vor der Glotze mitfiebern werde ich immer weggeschickt: "Geh, fahr mal ne Runde Moped."

Hier ist alles zu sehen was bei Daktari wichtig war.

 

Zurück zum Thema: Mein Bruder setzte in mir die Keimlinge der Hobbies welche mich heute noch fesseln.

Automobil im Allgemeinen, Oldtimer im Speziellen:
Mein liebstes Bilderbuch war Paul Simsas „Dies alles fuhr auf unseren Straßen.“ welches mein Bruder sich von seinem Taschengeld geleistet hatte.  In diesem, 1969 erschienen, Buch dokumentiert Simsa die kuriosen Fahrzeuge welche in den Nachkriegsjahren in Deutschland herum fuhren. Kleinstwagen, Eigenbauten, Vorkriegsautos die "überlebt" hatten. Ich besitze dieses Buch heute noch (als Dauerleihgabe meines Bruders) und blättere es immer wieder gerne durch. Für alle Interessierten: Es gibt eine Wiederauflage aus 2011, wer googlet findet sie.



Mein Bruder schenkte mir auch, um 1980 herum, das wichtigste Autobuch von allen: Werner Oswald, "Deutsche Autos von 1945 bis 1975". Diesen Schatz an technischen Daten und Bildmaterial nehme ich immer noch regelmäßig zu Hand. Autos die in diesem Buch nicht verzeichnet sind, braucht man nicht. Wichtig an Autos war immer: sie mussten irgendwie "von früher" sein. 

Außerdem gab es da noch diesen Stapel von auto motor und sport, welcher im Zimmer meines Bruders im Regal unter der Fensterbank lagerte. Das waren etwa 50 Zeitschriften, vorwiegend aus den späten 60ern bis frühen 70ern. Darin habe ich oft und lange geschmökert, wobei das schmökern weitestgehend aus Bilder anschauen bestand. Mit zwölf begann ich dann die ams selbst zu kaufen und nun auch wirklich zu lesen. Wirklich regelmäßig waren diese Käufe nicht, aber es müssen doch einige Hefte gewesen sein. In den Neunzigern habe ich mir 30 Jahrgänge ams, beginnend 1963, gekauft. Und wenn ich mein Archiv heute durchgehe gibt es doch ziemlich viele Titel von denen ich sagen kann, dass ich sie mir vom Taschengeld gekauft hatte. Bis in die achtziger Jahre zierten die ams noch prägnante Titel, welche sich auch über Jahre in meine Hirnrinde eingebrannt haben. Mit heutigen Heften kann das leider nicht mehr gelingen. Mal ganz im Ernst: welcher Zwölfjährige findet denn SUVs interessant?


Buchmann turbo-targa: was für ein Kracher!

Carrerabahn:
Mein Bruder besaß eine Carrerabahn, eine 132 Universal. Ich erinnere mich an dieses Spielzeug nur noch sehr schemenhaft, ich weiß, er hatte einen blauen E-Type mit Licht. Er verkaufte seine Bahn als ich vier war: das erste Mofa musste her. Als das Thema für mich aber relevant wurde, 1973, sorgte er mit seinem Sachverstand dafür dass ich die "professionellere" Carrera 124 zu Weihnachten bekam. Es war die damals größte Grundpackung "Targa Florio" und Martin hatte auch dafür gesorgt dass die Grundpackungsautos Porsche 906 und Ferrari Dino gegen hochwertigere Autos mit Lexan-Karosse getauscht wurden: Ein Porsche 917 und ein Ferrari 512S. 

 
Man beachte die Startnummer des Ferrari!
Im Laufe der Zeit kamen noch ein BMW 3,0 CSL und ein BMW turbo hinzu. Über mehrere Jahre war dies, neben der elektrischen Eisenbahn, eins meiner liebsten Spielzeuge. 
Aber 1978 verschoben sich meine Prioritäten in Richtung einer Stereo Anlage (in Wahrheit ein Plattenspieler mit zwei Lautsprechern). Um dieses Wunderwerk der Phonotechnik gebraucht erwerben zu können verkaufte ich meine Carrera Bahn. Ich Idiot! Natürlich genoß und benutzte ich mein Stereogerät ausführlich, aber schon bald begann ich meinem Rennspielzeug hinterher zu trauern. Heute ist das Thema Carrerabahn nicht mehr so raumgreifend in meinem Hobby-Kosmos, aber ich besitze immer noch eine Rennbahn (allein schon wegen meines Sohnes). Wie sich dieses Hobby entwickelte soll aber der Gegenstand eines zukünftigen Posts sein.


Modellbau:
Auf dem sideboard meines Bruders aufgereiht fand sich seine beeindruckende Sammlung von Modell-Oldtimern. Hauptsächlich waren das Monogram oder Jo-Han Bausätze. Mercedes SSK, 500K, 540K, Bugatti 35B und Royale, Rolls Royce, Cadillac und Duesenberg. Diese Modelle waren sein ganzer Stolz, anfassen war bei Strafe verboten! 
Meines Bruders Stolz: Bugatti 35B und wahrschienlich ein Lincoln, beide von Monogram
Natürlich eiferte ich ihm auch darin nach, anfangs mit (preisgünstigen) Militarmodellen, meistens Flugzeuge, aber auch mit Autos (siehe auch hier). Mit zunehmenden Alter engagierte sich Martin stark in der Friedensbewegung mit dem Nebeneffekt, dass er Kriegsspielzeug zum No-Go erklärte. Ich erinnere mich dass er selbst aus seiner Kindheit noch Airfix-Militär LKWs in 1:72 besaß. Die entmilitarisierte er, indem er sie in den buntesten Farben umlackierte bevor er sie mir zum spielen überließ. Ich bin bei dieser "kein Militär" Doktrin gebleiben. Seine Oldtimer-Sammlung ging irgendwann in meinen Besitz über und zierten zunächst meine Regale. Mit zunehmendem Bestand an eigenen Modellen wanderten die Oltimer irgendwann in eine große Grabbelkiste. Diese Grabbelkiste wurde, als ich Anfang der Neunziger auszog, entsorgt. Ich Idiot! NATÜRLICH bereue ich den Verlust jener Grabbelkiste heute, da ich mich zu einem leidenschaftlichen Modellbauer entwickelt habe. Bestimmt hätte sich das ein oder andere Stück noch restaurieren lassen. Als Modellbausatz-Sammler halte ich bei meinen Suchanfragen im Netz immer Ausschau nach den Pretiosen meines Bruder (obwohl Vorkrieg nicht so mein Ding ist). Den ein oder anderen habe ich schon aufstöbern können und den oben im Bild winzig zu erkennenden Monogram Bugatti 35B habe ich sogar gebaut. Allerdings entstand der Bugatt nach meinem Gusto als Rennwagen und nicht als Sport Tourer, was im Wesentlichen bedeutet hat Lampen und Kotflügel weg zu lassen. Und, na ja, ich behaupte mal dass ich's heute ein bisschen besser kann als mein Bruder damals. Dem Bugatti werde ich vielleicht noch einen separaten Post widmen.


Mein Stolz: Bugatti 35B

50 Kubikzentmeter
Auch meine Leidenschaft für kleinvolumige Krafträder wurde mir von meinem lieben Bruder mitgegeben.
Ich war vier, mein Bruder vierzehn, da verkaufte er seine Carrerabahn um sich sein erstes Mofa zuzulegen, 200 Mark hat es gekostet: Eine Hercules mit Zweigang Automatik.

Numero Uno

Das allergrößte für mich war, wenn mein Bruder mich auf seinem Mofa mitnahm: Ich saß vorne auf der Sattelspitze, stützte mich, die Beine frei baumelnd, am Lenker ab und durfte sogar Gas geben! Das unglaubliche Glücksgefühl das wilde Stahlroß so zu beherrschen hat sich so tief in meinem Gedächtnis verankert, dass "Moped" für mich heute immer noch gleichbedeutend ist mit: Freiheit & Abenteuer.

Wer bracht schon eine Harley?
Solche Kapriolen fanden meine Eltern, speziell meine Mutter, natürlich garnicht lustig. Ich glaube mein Bruder hat amtlich Ärger deswegen bekommen. Daher hatte ich nicht allzu oft das Vergnügen. Mein Bruder hat mir aber auch erzählt, dass er den Kinderstuhl vom Fahrrad meiner Mutter auf dem Mofa montiert, und mich auf weitere Touren mitgenommen hat. Woran ich mich wiederum nicht erinnern kann. Das Gefühl des "selbst fahrens" hat wohl alles andere ausgelöscht.

Im Wesentlichen ist das der Katalog dessen, was mir auch heute noch das Herz schneller schlagen lässt. Wie man meinen Schilderungen entnehmen kann, bin ich durch frühkindliche Prägung zu einem nicht therapierbaren Fall geworden. Ich konnt nix dafür. Mein Bruder hat Schuld.

Danke Martin.


1 Kommentar:

  1. ich danke dir! Fühlt man sich direkt weniger alleine so bekloppt 💗🍀

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